Muße und Müßiggang, die alten weisen Verwandten des Chillens – oft als Faulheit oder Trägheit diffamiert – galten besonders im Altertum als höchst erstrebens- und ehrenwert.
Aber was ist Muße eigentlich? Nun ja, es ist ein Begriff, der sich einer genauen Festlegung entzieht und auch das ist schon eines seiner Wesensmerkmale. Es gibt zahlreich Versuche das Phänomen Muße und Müßiggang (mal gemeinsam mal getrennt voneinander) zu ergründen und – wahrscheinlich schon früher – aber gesichert seit der griechischen Antike gibt es auch philosophische Betrachtungen dazu.

Für Platon (447 – 327 v. Chr.) war die Muße Grundvoraussetzung für die Philosophie und die Dichtung und nicht selten plaudert man in Platons Dialogen eher genussvoll sozusagen in Betrachtung oder Teilhabe des Schönen vom Höchsten.
Auch für Platons Schüler Aristoteles (384 -322 v. Chr.) ist die Muße die Voraussetzung für die höchste Daseinsform des Menschen die für ihn in der betrachtenden Tätigkeit des Geistes liegt. Er schreibt: „Die Glückseligkeit scheint in der Muße zu bestehen.“ (Nikomachische Ethik, X, 7.)
Seneca (1 – 65 n. Chr.) schreibt in seinem Werk „De Otio“ (Über die Muße) I, 2-3:
„Wir schwanken und ergreifen eines nach dem andren, das Begehrte lassen wir zurück, das Zurückgelassene begehren wir von neuem, ewig wechselnd zwischen unserer Begierde und Reue.“
Und hochaktuell in Zeiten von Social Media heißt es bei Seneca weiter:. …
[3] „… Denn völlig abhängig sind wir von fremden Meinungen und uns erscheint das am besten, was viele Bewerber und Lobredner hat, nicht das, was lobens- und erstrebenswert ist …“

Eduardo Barrón González, 1904 (Museo del Prado, Madrid)
Auch wenn es Seneca in seiner Schrift vornehmlich um den Aspekt der Freizeit im Sinne der Freiheit von politischer Tätigkeit des Philosophen geht, so können wir uns doch allgemein die Wichtigkeit des zur Ruhe Kommens des Reflektierens und der Muße, sein Leben eben nicht an der rastlosen Ansammlung von „Likes“ zu orientieren, daraus nehmen und erkennen, dass die innere Zufriedenheit und Gelassenheit wichtiger ist und zu breiterer Betrachtung führt, als das was 1 Millionen gehobene Daumen uns für wertvoll erklären.

Den Daumen runter gab es dann vom Christentum für Müßiggänger und Muße:
„Müßiggang ist der Seele Feind“ („Otiositas inimica est animae“), heißt es unumstößlich in der Regel des Benedikt von Nursia (480 – 547). Und der aktuelle katholische Katechismus sekundiert dem Heiligen Benedikt mit der Auffassung, dass die Acedia als Trägheit des Herzens soweit gehe, „dass man die von Gott kommende Freude verschmäht und das göttliche Gut verabscheut“ (Katechismus der katholischen Kirche Nr. 2094).

Dem liegt oft ein Verständnis zugrunde, dass Müßiggang eine Art von dumpfem Nichtstun sei, eine geistige Faulheit und krankhafte Trägheit mit Symptomen von dem, was man heute Depression nennt.
Verstärkt wurde diese negative Konnotation durch die die moderne Lohnarbeit und den Kapitalismus befeuernde Arbeitsethik des Protestantismus, wenn Luther etwa sagt:
„Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat“ oder Calvin konstatiert: „Unsere Arbeit, unser Broterwerb ist Gottesdienst und heilig. Müßiggang und Prasserei sind es, die die Menschen verderben.“
Doch obwohl das Christentum Muße und vor allem Müßiggang als „Mutter aller Sünden“ [„müezekeit ist aller sünden muoter“, Bertold von Regensburg (1200/10–1272)] und daraus abgeleitet sprichwörtlich als „Aller Laster Anfang“ sah, finden wir den Begriff doch immer wieder auch positiv konnotiert, als vita contemplativa mit Mönchstum und Klosterleben als mustergültige Art des mußevoll-theoretischen Lebenswandels – freilich deutlich asketischer als bei vielen alten griechischen Philosophen.

Der Hl. Augustinus von Hippo (354 – 430), sah in der Muße gar einen Vorgeschmack auf die himmlische Herrlichkeit der vollkommenen Ruhe in Gott.
Und spätestens der Religionsphilosoph Sören Kierkegaard (1813 – 1855) konstatiert dann wieder: „An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“
Muße ist keine bloße Erholung, keine „xtra-Time“ in der „Work-Life-Balance“, sondern sie kann vielmehr eine Rückholung sein, eine Rückholung des Ichs zum Selbst; ein Zustand der uns aus der Selbst- und Welt-Verlorenheit zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsängsten herauszuholen vermag und ganz auf die Gegenwart des ewigen Momentes reduziert und so auf die unermessliche Größe des puren Seins erweitert.
Kurz: Muße ist die Meditation des Genießers.
Zur tieferen genussvollen Betrachtung des Themas hier mein Video über die Davidoff Gran Cru Toro und das „Chillen“ mit Aristoteles, Seneca und Nietzsche: