Über mich

Kurze, schnell und unachtsam geschriebene Vita in Prosa von Daniel Beuthner

Daniel Beuthner

Da ich als zweiter von drei Söhnen durchaus ein Wunschkind meiner Eltern war, ließ ich mich nicht lange bitten und kam recht pünktlich und – wie mir versichert wurde – ohne über die üblichen Torturen des Geburtsvorganges hinausgehende Unannehmlichkeiten zu verursachen am 22. Mai 1973 zur Welt. Dass ich mir ausgerechnet eines der wärmsten Jahre des Säkulums erwählt hatte, mag meine Mutter zwar nicht erfreut haben, allerdings wusste sie sich mit der Wahl des Geburtsortes im Schleswig-Holsteinischen Neustadt durch zuweilen vom Meer heran strömende erfrischende Brisen Kühlung zu verschaffen.

Wahrscheinlich sahen meine Eltern, noch bevor ich es zu artikulieren im Stande gewesen wäre, meinem offenbar als Säugling schon ausgeprägtem souveränem Mimenspiel an, dass ich kein Mann des Meeres war. Möglicherweise hatte der Entschluss meines Vaters, sich als Neurologe und Psychiater im Landesinneren niederzulassen jedoch auch andere Beweggründe gehabt, die mir dann allerdings verborgen blieben. Kurz, ich war mit der Wahl des Standortes zufrieden. Im zarten Alter von zwei Jahren kam ich also in die Stadt, die fortan Mittelpunkt meines Lebens sein sollte: Duisburg am Niederrhein.

Innenhafen Duisburg
Duisburg, Innenhafen – Bild von Hermann H. auf Pixabay

Ich betone dieses „am Niederrhein“ recht gerne, weil es der Stadt, die im Bewusstsein vieler Ahnungsloser nicht vielmehr als ein verrußter Moloch voller proletarischen Schweißgeruches ist, einen frischen und freundlichen Anstrich verleiht. Überdies konnte ich schon als Knabe die Vorurteile über meine Heimat nicht teilen, was wohl hauptsächlich daran gelegen haben mag, dass ich unmittelbar an einem Park in einer ruhigen Straße umsäumt von Bäumen und blühenden Vorgärten aufgewachsen bin.

Die Grundschule an der Schillerstraße ist idyllisch im Lutherpark gelegen

Hier ging ich zur Grundschule, erhielt ab dem sechsten Lebensjahr geregelten Klavierunterricht, empfing die Hl. Kommunion und prügelte mich mit den Nachbarjungen. Nachdem meine Mutter mir klargemacht hatte, dass ich die Erkundung der Welt um mich herum wohl abgeschlossen hätte und es wirklich nicht nötig sei, ihr zum Beweis meiner Entdeckerkraft neben Fröschen, Kröten, Mäusen und Käfern aller Arten noch weitere quakende und krabbelnde Studienobjekte ins Haus zu tragen, begab ich mich auf die spannende Reise, deren Weg ich bis heute beschreite: Ich begann zu lesen. Nicht so, wie es wohl jeder Viertklässler tut, sondern mit der konkreten Absicht, all diese fremden Länder zu erforschen, die zwischen den beiden Buchdeckeln verborgen waren. Je weiter, je exotischer sie mir vorkamen, desto mehr begehrte ich, sie für mich zu erobern. Aus diesem Grunde faszinierten mich besonders jene wenigen Bücher, die aufwändig gebunden und in altertümlichem Schriftbild gedruckt waren. Mühsam aber rasch erlernte ich die Fraktur und stieß in Welten vor, die so reich an Schätzen waren, dass wirklich nur die Kammern eines jugendlichen Herzens groß genug waren, sie alle aufzunehmen. Ich war ein Kolumbus der Buchstaben und segelte für die eigene Krone. Schiller war mein Fixstern. Er wies mir den Weg.

Friedrich Schiller
Johann Heinrich Dannecker: Marmorbüste Friedrich Schiller, 1805
Quelle: Klassik Stiftung Weimar

Wenn ich etwas nicht verstand in seinen Dramen oder Gedichten, dann zeigte sein geistiger Finger beharrlich auf den Brockhaus im Bücherregal meines Vaters und bald wusste ich, wer Kassandra war, wer Semele und was der Styx.

Diese Schätze durfte ich nicht für mich behalten. Aber mit wem teilen? Mit einem Freund, einem echten Freund! Ich wusste ja jetzt, was die Bürgschaft bedeutete. Und wahrlich hatte ich bald „das große Los errungen, eines Freundes Freund zu sein“. Wir gingen in parallele Klassen der 6. Jahrgangsstufe des örtlichen Gymnasiums und genau wie mein Gemüt, sprach auch sein Geist auf die Ideale Schillers an. Oftmals lagen wir auf dem Parkettboden unter dem Stutzflügel in meinem Elternhaus und das Instrument, auf dem ich eben noch improvisiert hatte, war nun zum Dach unserer eigenen Schule geworden. Dann gingen wir hinaus durch den Park, fuhren mit dem Fahrrad an den See oder das Rheinufer entlang und sprachen über all das, was wir in der Zukunft verändern wollten. Unseren Wahlspruch hatten wir bereits gefunden:

„Wirke Gutes, du nährst der Menschheit göttliche Pflanze.
Bilde Schönes, du streust Keime der göttlichen aus.“

Mit meinem Idealismus infizierte ich bald einige Lehrer und das wohl intelligenteste Mädchen der Jahrgangsstufe. Mit ihr und meinem Freund traf ich mich alltäglich zwei Stunden vor Schulbeginn, um das Wissen zu vertiefen, das wirklich wichtig war. Die Schule ließ ich nebenher laufen, suchte mir mit den Jahren Lehrer und Professoren außerhalb, studierte Musik nach der Methode Konservatorium Rustin, die Geschichte der Philosophie vor allem nach Deussen, aber auch Gomperz und sogar die etwas einseitige Sichtweise von Sawicki. Was mich aber wirklich faszinierte, waren die Bilder. Denn ich entdeckte die Pfade und Wandlungen, die sie auf ihren langen Wegen durch die verschiedenen Kulturen und Jahrhunderte genommen hatten. Warum gab es darüber kaum Literatur? Warum wussten nicht einmal die Kunstlehrer oder Germanisten, was mir so offen lag? Die Ikonographie und bald darauf die Ikonologie entdeckte ich als meine wahre Berufung. Hier forschte ich, erweiterte den von Erwin Panofsky als „Zweig der Kunstgeschichte“ definierten Begriff auf die Poesie resp. die Sprachbilder und ergänzte sein Dreistufenmodell um den wesentlichen Faktor der Assoziation.

Was ich jetzt brauchte war mehr Unabhängigkeit. Kurzerhand mietete meine mit mir befreundete Physiklehrerin eine großzügige Wohnung an, die einzig und allein dazu diente, der Raum geistigen Austausches zu sein. Meine Bücher fanden hier ein Zuhause, ein Klavier wurde gekauft und ein Atelier eingerichtet.

Mein Freund, das kluge und überdies sehr attraktive Mädchen, ein Kunstwissenschaftler und Künstler, die Physiklehrerin und ich hatten den Grundstein für eine Gemeinschaft gelegt, aus der später der heute noch in Duisburg ansässige aragam Kulturverein hervorgehen sollte. Von mir vorbereitete Bildungsreisen durch verschiedene Kunstmetropolen wurden seitdem feste Punkte unseres Lebens.

Wien Musikverein
Wien, vor dem Musikvereinsgebäude – im Hintergrund die Karlskirche
Quelle: Beuthner privat © 2014

Um finanziell unabhängiger zu werden und auch um „etwas Anständiges“ gelernt zu haben, entschloss ich mich, mit Vollendung der Jahrgangstufe 12 eine Ausbildung zum Verlagsbuchhändler zu absolvieren. So war ich überdies stets und ständig an der Quelle und konnte mir besonders teure wissenschaftliche Publikationen zum Einkaufspreis beschaffen. Die Ausbildung hatte ich zwar mit Erfolg und auch gerne abgeschlossen, merkte allerdings sehr früh, dass der Handel nicht meine Welt war. Nach einer kurzen Lehrtätigkeit im Fachbereich Philosophie für Hochschulen aus London und Canterbury widme ich mich heute ganz der Bedeutungs- und Wirkungslehre von Bildern, der Symbolkunde und Mythenforschung und genieße das Leben. 2013 startete ich meinen kleinen YouTube-Kanal „GötterfunkenTV“ und betreibe nach einer schweren Erkrankung 2024 diese Internetpräsenz.

Seit über 25 Jahren bin ich nun glücklich mit meiner Gefährtin aus der Schulzeit verheiratet. Wir besitzen ein altes Haus – natürlich in Duisburg -, das heute Mittelpunkt unserer Gemeinschaft ist: Mein ältester Freund ist als studierter Mathematiker und Informatiker nunmehr verdienter Privatier und noch heute sitzen wir allwöchentlich auf eine Havanna zusammen, lesen, hören Musik und diskutieren über künftige Pläne. Die Physiklehrerin und der Kunstwissenschaftler leben nur 150 Meter von meiner Frau und mir entfernt und jeden Tag arbeiten wir an unseren Idealen.

Der Bildhauer Andreas Joerißen und Daniel Beuthner bei der Vorbereitung kulinarischer Genüsse für den kulturellen Abend
Quelle: Beuthner privat © 2014

Gemeinsam mit eine Gruppe liebgewonnener Menschen finden wir uns in unregelmäßigen Abständen zum kulturellen Salon zusammen und zelebrieren lang und ausgiebig den Genuss für Geist und Gaumen.

Daniel Beuthner

Angesagt